Erdmut Bramke: Marignolle 8, 1991, Acryl/Leinwand, 170 x 125 cmErdmut Bramke







Von der Rückseite - Erdmut Bramke in Freiburg

Erdmut Bramkes "Venosa"-Zyklus will ans Licht. Da erweist sich das Freiburger Morat-Institut mit seiner natürlichen Hellig- keit als idealer Ort für die Gesamtschau der im letzten Jahr ab- geschlossenen Werkfolge mit dem Namen des Ortes in der süditalienischen Landschaft Basilicata. Erst wenn jedes der 24 Bilder seinen individuellen malerischen Charakter entfalten kann, wird deutlich, dass sie ihre Gleichheit wie ihre Andersartigkeit einem besonderen Malverfahren verdanken.
Die auf einen Keilrahmen gespannte Leinwand wird in einem ersten Schritt von der Rückseite her so bearbeitet, dass wässrige, in mehreren Schichten aufgetragene Acrylfarbe in das Gewebe sickert und sich als Pigment auf der eigentlichen Bildseite absetzt. So wird der Bildträger zum Filter. Im zweiten Schritt kann die Künstlerin auf die von der Farbe weit gehend selbsttätig ausgeführte "Malerei" reagieren und führt sie auf der Vorderseite mit dem Pinsel weiter. "Venosa 1" von 1997 zeigt den ersten Schritt noch ohne den zweiten: fleckiges Rotorange unter einem zerschlissenen Grauschleier. Für die Wirkung der Bilder ist entscheidend, dass sich die Abfolge der rückseitig aufgetragenen Farbschichten auf der Bildseite umkehrt. Erdmut Bramke kann auf diese Weise ihrer abstrakten Malerei das Handschriftliche entziehen, ohne ihr Dynamik und Räumlichkeit zu nehmen.
Der Begriff "Serie" scheidet für "Venosa" aus, er zielt an der Eigenständigkeit der malerischen Erfindungen auf der Basis eines im Prinzip gleichbleibenden Malverfahrens vorbei. In den letzten Arbeiten treten die Pinselschwünge deutlicher als Raster in Erscheinung und erinnern damit an frühere Werkfolgen. Doch an der Spielregel ändert das nichts: die von hinten agierende Farbe macht einen Bildvorschlag, und die Künstlerin Erdmut Bramke beantwortet ihn mit künstlerischer Willkür.
Auch bei der Folge kleinformatiger "Tauchbilder" ist es die Methode, die den malerischen Ton angibt. Saugfähiges Büttenpapier wird jeweils nur mit einem Teil des Blattes in ein dünnflüssiges Farbbad getaucht, und das wiederholt sich mehrere Male mit wechselndem Pigment. Das Ergebnis sind helle und dunkle, anschwellende und vergehende Farbklänge: Bewegung, die bewegt.

Gabriele Hoffmann
Stuttgarter Zeitung, 08. März 2002

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